Freitag, 23. April 2010

Kapitel I - Das Fazit

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass mich mein Bauchgefühl schon sehr, sehr früh warnte und ich im Grunde genommen nichts Anderes hätte tun müssen, als darauf zu hören. Damit hätte ich mir fast zehn Jahre der Verwirrung, der gestörten Wahrnehmung und des Bettelns um echte Liebe erspart. Ich hab's aber nicht getan.

Das große "WARUM?" schwebt hier so herum. Ich versuche es mal einzufangen. Ich war schwer verliebt, wirklich schwer. Ich hatte so extreme Gefühle, wie noch nie vorher! Es schien (!) alles zu passen an Plänen und Ansichten. Die paar Kleinigkeiten glaubte ich schnell in den Griff kriegen zu können und ich war voller Mut und Hoffnung, dass ich in Viktor endlich meinen Hafen, meinen Halt gefunden hatte.

Zudem GAB es schöne Momente, sogar viele, das will ich gar nicht unterschlagen. Er war sehr zärtlich und vorsichtig. Und ich habe am Anfang nicht empfunden, was er später einmal sagte, nämlich dass er schon beim ersten Treffen eher enttäuscht von meinem Äusseren war. Ganz im Gegenteil glaubte ich eine leise Verwunderung von seiner Seite aus wahrzunehmen, dass ich IHN überhaupt mögen konnte...und irgendwie fand ich das süß. Tja, als Fazit des ersten Kapitels liesse sich vielleicht festhalten, dass mir die Fallstricke im Vergleich zu dem Positiven der Beziehung vorkamen wie bedeutungslose Kleinigkeiten und ich deshalb mein Bauchgefühl unterdrückt habe. Auch im Hinblick darauf, dass ich einfach nicht schon wieder pessimistisch sein wollte, weil ich das als sehr, sehr unattraktive Eigenschaft meiner selbst empfand.

Lieber wollte ich positiv in die Zukunft sehen und mit Viktor meine eigenen Luftschlösser bauen, statt zu realisieren, dass ich nur noch einen Fuß breit vom Rand der Gruft entfernt stand, bereit, jeden Augenblick abzustürzen...

Kapitel I - Vorurteile und der vampiröse Umgang mit denselben

Viktor war tatsächlich betrunken.

Er schluchzte ins Telefon, dass er sich solche Sorgen gemacht habe und er mich so gerne habe beschützen wollen. Auf Nachfrage vor was er mich denn beschützen wollte, meinte er: "Vor dir selbst!" Ich sei naiv und in eine Situation gekommen, die schrecklich für mich sei in all meiner Verzweiflung, weil ICH ja so fürchterlich pleite war und Ralf nicht und...ich begriff GAR NICHTS! Er redete weiter und weiter und ich versuchte ihn zu trösten und zu beruhigen, bis er endlich damit herausrückte, was er WIRKLICH meinte. Es war entsetzlich!

Viktor unterstellte mir, ich würde Sex mit Ralf haben, damit dieser mir Geld gebe und ich so aus meiner (? bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht mal, dass ich in einer steckte!) finanziellen Misere heraus käme! Lieber Himmel!

Aaaaah! Mein heute wieder lebendiges Bauchgefühl kann gar nicht so laut schreien, wie es möchte bei dieser unglaublichen Unterstellung. Ich bin so unglaublich wütend, wo ich das gerade aufschreibe, dass ich Viktor am Liebsten meine Tastatur auf den Kopf hauen würde. Wie konnte er nur? Was dachte der Typ eigentlich von mir??? Mal im Klartext, er hatte mir unterstellt, ich sei eine Hure, die für Geld mit jemandem ins Bett geht! ICH würde NICHT alles für Geld tun! Ich bin treu! Heute weiss ich, dass Vampire generell dazu neigen, von sich selbst auf andere zu schliessen und ich habe tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass er bereit war, für Geld viele Grenzen zu überschreiten, vor allem gesetzliche. Doch zurück zur aktuellen Szene:

Ich KAPIERTE ES NICHT. Ich sah nicht die Unterstellung, die Abwertung, das nicht vorhandene Vertrauen in meine Urteilsfähigkeit. Was ich wahrnahm war seine tiefe Verunsicherung, seine Eifersucht, die ich für Liebe hielt und ich wollte nur, dass er mir vertraute. Also erklärte ich und beschwichtigte, ich warb um sein Vertrauen und redete stundenlang am Telefon mit ihm, während Ralf sich den Film, den wir beim Essen anschauen wollten, allein ansah und begriff gar nicht, dass Viktors ganzes Theater am Telefon lediglich der Kontrolle diente. Er WOLLTE mir den Spass verderben, vielleicht nicht bewusst, aber er wollte definitiv nicht, dass ich mit Ralf, einem ganz normalen, platonischen Freund, eine gute Zeit verbrachte. Also verlangte er sie von mir und ich schenkte sie ihm bereitwillig, mit dem Gedanken "Wenn ich ihm nur erst beweise, dass er mir vertrauen kann, wird er mir vertrauen." Ganz, ganz falsch gedacht, aber das konnte ich ja nicht wissen.

Fakt ist, ich war bereit, eine Menge zu geben. Ralf war zwar ein Freund, aber Viktor war mein 'Freund' und mir schien es völlig normal, meine 'Liebesbeziehung' über freundschaftliche Beziehungen zu stellen. Ich hätte die Freundschaft sogar aufgegeben, doch zum Glück war Ralf hartnäckiger als Viktor und geduldiger als manch anderer, so dass die Freundschaft länger hielt als die Vampirbeziehung. (Dass sie nach der Beziehung trotzdem endete, steht auf einem anderen Blatt. Ich erzähl's euch später)

Nach diesem mehrstündigen Telefonat fühlte ich mich erstmals ausgelaugt und erledigt. Kraftlos. Es war sehr anstrengend gewesen, zumal ich ja nur verbal reagieren konnte und keine normalen, bindenden Gesten wie zum Beispiel eine Umarmung, einen zärtlichen Kuss einsetzen konnte. Ich wusste es nicht, auch wenn meine Seele es mir mitzuteilen versuchte: Das war mein allererstes, richtiges Blutopfer. Er hatte begonnen zu saugen und ich hatte ihm meinen nackten Hals nur allzu freiwillig dargeboten.

Ich habe viel gelernt und heute erkläre ich mir die Situation so: Der durchschnittliche emotionale Vampir hat ein Problem mit seiner Abgrenzung. Ich und du sind nicht so klar unterschieden, wie bei Menschen. Er selbst ist innerlich ganz leer, hat kaum Kontakt zu seinen Gefühlen (und wenn er doch mal in Kontakt mit ihnen tritt, begreift er sie nicht) und versucht ständig, diese Gefühlslücke durch die Emotionen seiner ausgesaugten Opfer aufzufüllen. Kontrollverlust über das Opfer ist für den Vampir eine Situation, die er als gefährlich für sich selbst wahrnimmt, da er nichts weniger schätzt, als wenn seine Quellen versiegen. In diesem speziellen Fall war es wohl so, dass Viktor, der mich kaum wahnahm, solange er sich meiner sicher war, bemerkte, dass ich ihm während des Besuches nicht vollständig und ausschliesslich zur Verfügung stand. Er schätzte die Sache als gefährlich ein und versuchte nun, die Kontrolle zurück zu erlangen. Zuerst projizierte er seine eigenen 'Fehler und Schwächen', hier eine absolute Geldfixierung, auf mich und spiegelte sie mir dann mit seinem Vorwurf zurück. Ich reagierte hilflos und traurig (= spiegelte die Emotionen, die ER eigentlich hatte!) und startete automatisch das Programm 'vertraue mir'. So füllte ich seine innere Lücke auf und gab seinem Misstrauen gleichzeitig ungewollt recht, da ich mich zu rechtfertigen versuchte!

Die Dynamik ist so krank, dass es mir sehr schwer fällt, sie in Worte zu fassen. Das war nur ein erster Versuch, vielleicht schaffe ich es im Verlauf noch besser.

Jedenfalls, da sass ich nun. Ralfs Besuch war von diesem Moment an überschattet von Ängsten, Viktor wieder zu verunsichern. Ich konnte gar nicht mehr unbefangen mit Ralf umgehen und so hockten wir das Wochenende über nur bei mir zuhause herum und sahen uns Filme an, trotz des wunderschönen Wetters und der seltenen Gelegenheit, schöne Dinge gemeinsam zu unternehmen. Und ich dachte, ich tue das freiwillig, dabei war ich längst zu einem süchtigen Vampirkomplementar geworden...

Donnerstag, 22. April 2010

Kapitel I - Vampirkunde für Anfängerinnen

Ich lernte schnell, dass Viktor wirklich ein ganz aussergewöhnlicher Mann war, wenn man ihn mit seinen Vorgängern vergleicht. Alles war bei ihm 'etwas anders' als ich es kannte. Während des dreitägigen Treffens im Mai schon, hatte ich die 'Frau an seiner Seite' zu spielen, was im Endeffekt hiess, dekorativ auszusehen, bei Bedarf für ihn bereit zu stehen und bei Nicht-Bedarf möglichst still und ohne zu Murren unsichtbar zu werden.

Schon in diesen allerersten drei Tagen flossen die Tränen auf meiner Seite. Während ich jede freie Sekunde möglichst nur mit ihm verbringen wollte, verliebt wie ich war, redete Viktor von 'Verantwortung gegenüber den anderen Teilnehmern des Treffens' und war zu allen freundlich und nett...und ich bekam seine Aufmerksamkeit nur, wenn gerade nichts Anderes anstand oder in den letzten paar Minuten vorm Einschlafen. Nach SEINEM Bedarf, meiner war völlig irrelevant. Statt daraus sofort den richtigen Schluss zu ziehen (Ich werde IMMER allerhöchstens die zweite Geige spielen), schob ich alles auf die 'Umstände' und glaubte, bei einem Treffen alleine würde alles anders sein. Heute könnte ich mir mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen, aber damals war ich bereits so 'vampirisiert', dass ich ausser ihm, seinen Bedürfnissen und eines unterschwelligen Unwohlseins nichts wahrnahm. Sex war in diesen Tagen sehr heikel. Sehr kurz vor allem! So wie er sich dabei verhalten hat, hätte ich guten Gewissens davon ausgehen können, seine allererste Frau im Bett gewesen zu sein, doch er sagte, dass es nicht so sei, er aber auch nicht wisse, warum er so schnell sei, das sei ihm noch nie passiert. Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen, wenn schon andere Sachen nicht wirklich standhaft waren.

Oh, interessant zu wissen ist vielleicht noch, dass Viktor sich zwar mehr um die anderen Treffensteilnehmer als um mich, seine brandneue Freundin, kümmerte, im Gegenzug aber ÄUSSERST unbegeistert war, wenn ich dasselbe tat! Natürlich waren auch noch andere Leute da, die ich noch nicht persönlich kennen gelernt hatte und auf die ich neugierig war. Da er sich ohnehin kaum mit mir abgab, nutzte ich die Gelegenheit, auch mit diesen Leuten Kontakt aufzunehmen und hatte daran auch Spass. DAS war allerdings ein Faux pas, den ich später noch bitter bezahlen sollte. Je mehr ich mich nämlich an den anderen orientierte und versuchte, das Beste aus seiner Ablehnung zu machen, desto eifersüchtiger und kühler wurde er mir gegenüber. Merke: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe! Oder auch 'Quod liced Vampy, non liced Janie!" Doch auch daraus zog ich nicht die richtigen Schlüsse. Statt mir darüber klar zu werden, dass ich nicht nur zur zweiten Geige mutierte, sondern dabei war, in eine absolute Zwei-Klassen-Beziehung mit Isolation und Kontrolle als Zugaben zu rutschen, hielt ich seine 'Eifersucht' für ein gutes Zeichen. Wenn er so eifersüchtig ist, MUSS er mich ja lieben, dachte ich. Aua.

Nun, das Ende dieser dreitägigten Expedition in die Gruft nahte. Während ich traurig war, dass wir nun für längere Zeit keinen persönlichen Kontakt haben würden, schien Viktor völlig unbeeindruckt. Es war eine unglaubliche Diskrepanz zwischen dem was er sagte und seinem Verhalten. Er sagte: "Ich werde dich unglaublich vermissen.", schob mich gleichzeitig in Richtung von Dirks Auto...und ich blickte nicht durch! Ich glaubte seinen Worten und fand keine Erklärung für sein Verhalten. Weinend stieg ich ein und sah ihn noch einmal da stehen: Klein, dick und...bereits abgewandt, fröhlich mit jemand Anderem plaudernd. Mein Bauchgefühl rebellierte, aber bei meinem Hirn kam nichts an.

Wieder daheim angekommen, ging das Leben erst mal wie gehabt weiter. Tagsüber ging ich arbeiten, abends kümmerte ich mich um meine Tochter und danach: Chatten und Telefonieren mit Viktor. Im geschriebenen und gesprochenen Wort war alles wunderschön und ich glaubte, was er sagte sei die Realität. Ja, heute weiss ich, dass es nicht umsonst heisst "Taten statt Worte", aber es klang doch alles so wundervoll und liebevoll und perfekt...wie hätte ich nicht dahinschmelzen können? Er nannte mich 'mein Engel', 'goldig' (wie ein Hündchen? *tse*) und schien zu allem diskussionsbereit und vernünftig. Ich mag verliebt und naiv gewesen sein, aber er traf derartig meinen Nerv in seiner verbalen Kommunikation, dass ich mir heute verzeihen kann, ihm in die Falle gegangen zu sein.

So ist es eben mit Vampiren. Sie sind charmant, sie glitzern, sie wickeln ihr Opfer auf ganz natürliche Art und Weise ein, bis es willenlos wie eine Maus vor der Schlange hockt und sie nur noch ihre Fangzähne tief in den Nacken schlagen und saugen müssen, bis nichts, aber auch GAR nichts mehr zu holen ist. Aber vergessen wir eines nicht: Ich war ein Opfer, das irgendwann mitten in der Gruft aufgewacht ist, sich eine Knoblauchkette um den Hals gehängt hat und mit Rosenkranz bewaffnet die Flucht ergriffen hat. Ganz hat Viktor es also nicht geschafft und dafür bin ich mir sehr, sehr dankbar.

Die erste 'richtige' Vampirszene fand zum Glück auch auf Distanz statt. Von meinem Kumpel Dirk hatte ich ja schon anfangs erzählt. Es war eine wirklich schöne Zeit, die wir gemeinsam hatten. Oft kam Dirk abends zu mir, ich konnte mit dem Kind ja schlecht zu ihm, und wir spielten Playstation-Spiele, unterhielten uns und hatten einfach eine gute Zeit. Freunde, mehr nicht. Nachdem ich Viktor getroffen hatte, kam Dirk nur noch sehr selten. Ich weiss nicht, ob ich es war, die vermittelte "Es ist kein Platz mehr da für dich." aber ich kann es mir gut vorstellen. Ich war sehr absorbiert und wollte in meiner Freizeit kaum mehr etwas Anderes tun, als an Viktors Lippen hängen und hören, was er mir an 'liebevollen' Worten zukommen liess. Doch Dirk war nicht der einzige Freund. Es gab noch jemanden aus Bayern, den ich über das gemeinsame Hobby kennen gelernt und auf dem Treffen zum ersten mal gesehen hatte: Ralf. Ralf wohnte sehr weit von mir entfernt, fast so weit wie Viktor, aber wir hatten uns gut verstanden und verabredet, dass er bald für ein paar Tage zu mir kommen würde für gemeinsame Unternehmungen. Viktor dagegen war so bald nicht in der Lage, mich zu besuchen, da er ja mitten im Abitur steckte und ausserdem, wie eigentlich immer, pleite war. Nicht ein Wochenende konnte er für mich aufbringen...

Wie auch immer, Ralf konnte das und ich freute mich auf seinen Besuch. Viktor war weit weniger begeistert, aber er sagte nichts, sondern wurde nur immer ganz kalt, wenn ich davon anfing. Kein bischen Freude für mich war zu spüren, sondern eine zunehmende Feindseligkeit mir gegenüber. Ich begriff es als 'Eifersucht' und versuchte, ihn zu beruhigen, versicherte ihm tausend mal, dass ich ihn und nur ihn (wie wahr, nicht einmal mich selbst liebte ich mehr) liebte und forderte Vertrauen ein. Ralf kam also an und es war ein netter Besuch...jedenfalls wäre es das gewesen, wenn nicht pausenlos Viktor angerufen hätte! Um ihm keinen Anlass zur Eifersucht zu bieten und vertrauenswürdig zu erscheinen, versuchte ich, stets erreichbar zu sein, was Ralfs und meine Unternehmungsmöglichkeiten ziemlich einschränkte. Es kam wie es kommen musste. Ralfs spontane Idee, zum Chinesen zu fahren und uns etwas zu Essen zu besorgen, endete in einem Desaster. Wir waren eine knappe Stunde unterwegs gewesen und als wir mit dem Essen zurückkehrten, blinkte das Lämpchen am Anrufbeantworter und das Telefon klingelte Sturm. Zuerst hörte ich den AB ab. Mehrere Nachrichten von Viktor...zuerst noch neutral, dann zunehmend wütender und zum Schluss regelrecht verzweifelt. Er klang betrunken. Ich rief zurück, während Ralf allein anfing zu essen und meine Portion langsam kalt wurde.

Mittwoch, 21. April 2010

Kapitel I - Der Sargdeckel öffnet sich.

Als ich 23 war, ging ich mit einem guten Freund ziemlich exzessiv einem Hobby nach: SETI. Wir stellten im distributed computing unsere Rechenzeit an dieses Projekt zur Verfügung und liessen unsere PCs im Leerlauf Daten auswerten. Schnell fanden wir im weltweiten Netz Anschluss an die größte deutsche Webcommunity zum Thema.

Es war spannend, neu und aufregend, mein erster eigener PC. Ich machte die ersten Schritte im Netz auf der Internetseite dieser Community, lernte was ein Chat ist und fing an, dort aktiv zu sein. Tagsüber ging ich arbeiten, abends war ich dort. Und ein Community-Mitglied war immer da, Tag und Nacht. Stets hilfsbereit zu allen, freundlich und fröhlich, fing es damit an, dass er mir half, ein Computerproblem zu lösen. Dazu gab er mir irgendwann seine Telefonnummer mit der Aufforderung "Wenn's so nicht klappt, ruf mich einfach an."

Ich probierte es also mit der von ihm per Post geschickten CD meinen Rechner neu zu installieren, es klappte nicht, also musste ich mit klopfendem Herzen, weil ich so ungern mit 'Fremden' telefoniere, seine Nummer wählen und schon hatte ich ihn an der Strippe. Viktor (Name natürlich geändert) erklärte mir alles haargenau und mit endloser Geduld...und hatte den süßesten Dialekt, den man sich nur vorstellen kann! Ich war beinahe sofort verliebt in diese Stimme. Ganz tief, ganz ruhig und ja, mit eben diesem Dialekt.

Wir lebten (und leben) zwar im gleichen Land, jedoch an den entgegengesetzten Grenzen, ich im Norden, er im Süden. Der Unterschied ist riesengroß, man sollte es nicht meinen. Ich war jedenfalls fasziniert. Er hatte mir erzählt, dass er bereits seit er 16 ist allein lebt, dass seine Kindheit fürchterlich und seine Eltern Alkoholiker und Schläger waren, von denen er sich schnellstmöglich befreien musste. Auch ging es schon ziemlich am Anfang um Geld, nämlich um jenes, um das er sich von seinen Eltern betrogen fühlte. Ach, was zerging ich in Mitgefühl für diesen armen Kerl, der schon so früh ganz allein zurecht kommen musste und trotzdem seine Ausbildung geschafft hatte und, jetzt kommt der Clou, aktuell sogar dabei war, sein Abitur nachzuholen! Was war ich entzückt von all dieser Zielstrebigkeit, die mir fehlte und die ich bewundern konnte!

Schnell sprachen wir auch über unsere Pläne für die Zukunft. Viktor erklärte, dass er sich nichts als ein normales Leben wünsche, mit Frau und Familie, ab und zu mal ein Urlaub, ein Auto...ganz bescheiden, ganz normal. Ich war begeistert! Da ich schon mit achtzehn Jahren zum ersten mal Mutter geworden war und meine Tochter und mich ganz allein mit einem Job im Callcenter ernährte, hatte ich hochfliegende Träume längst aufgegeben und wünschte mir nichts sehnlicher als das, was er mir schilderte. Für mich war also sehr schnell klar, dass Viktor der Mann meiner Träume war. Wie es ihm ging, wusste ich noch nicht, obwohl er sich mir sehr zugewandt zeigte. Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns noch nie gesehen, doch das sollte sich bald ändern. Kennen gelernt hatten wir uns im Dezember, im Mai des nächsten Jahres sollte ein Landesweites Treffen der SETI-Communities stattfinden und bald war klar, dass wir uns dort sehen würden.

Wir schrieben immer mehr, immer persönlicher und nach einigem Hin und Her beschlossen wir, nicht wie die anderen in der Jugendherberge am Veranstaltungsort, sondern in einer gesondert gemieteten Ferienwohnung zu schlafen, um Zeit für uns zu haben und uns besser kennen zu lernen...

Ich freute mich darauf, war jedoch auch aufgeregt, schliesslich kannte ich ihn bisher nur schriftlich, vom Telefon und von einem einzigen Foto, das er auf der Communityseite veröffentlicht hatte. Ich dagegen hatte ihm bis zu diesem Zeitpunkt bereits einige Fotos von mir geschickt, die ich sogar extra für ihn hatte machen lassen. Wie würde es sein, dem 'Traummann' Viktor plötzlich real gegenüber zu stehen?

Es war ein wunderschöner, sonniger Tag im Mai und bis zur letzten Sekunde vor der Abfahrt stand alles auf der Kippe. Das Auto meines Freundes Dirk hatte ein Reifenproblem und er traute sich nicht, die weite Strecke bis zur Landesmitte zu fahren. Letztenendes entschied er sich dann aber doch dafür und wir traten die Reise an. Ich war aufgeregt wie selten in meinem Leben. Viel zu lange dauerte die Fahrt und dann war sie doch auch wieder zu schnell vorbei. Zwanzig Kilometer vor dem Ziel war ich mit den Nerven derart am Ende, dass ich Dirk bat, umzukehren! Natürlich machte er das nicht! Wie ich auch, hatte er sich monatelang auf das Treffen gefreut und hatte seinen Schlafplatz im Voraus bezahlt!

Also kamen wir nach mehreren Fahrtstunden leicht abgekämpft an der Jugendherberge an. Meine Knie waren weich wie Butter und ich nahm kaum etwas wahr, als wir den Aufenthaltsraum betraten. Meine Augen suchten nur nach 'ihm' und schliesslich sah ich ihn in der hinteren Ecke stehen. Er war viel kleiner und dicker als ich ihn mir vorgestellt hatte, aber schliesslich kommt es ja nicht aufs Äussere an und was ich von seinem Inneren wusste, heute sage ich 'zu wissen glaubte' beziehungsweise 'gezeigt bekam', machte ihn zu einem absoluten Traummann und so stakste ich wie ein Storch im Salat mit Butterknien zu ihm rüber und hatte einen absoluten intellektuellen Blackout. Anders kann ich mir die ersten Worte, die ich live zu ihm sagte heute nicht mehr erklären: "Das bist du also."...ich meine, hallo? Ich hätte genau so gut sagen können: "Ich habe eine Wassermelone getragen." und so ähnlich fühlte ich mich in diesem Moment auch. Seine Antwort kann ich gar nicht mehr erinnern, aber sie kann nicht wesentlich gehaltvoller gewesen sein, jedenfalls lagen wir uns, wie abgemacht, schon Sekunden später in den Armen und ein paar Minuten später küssten wir uns auch. Alles ohne Worte oder höchstens mit nervösem Geplapper, das nicht mehr Sinn hatte als die letzte Seite der Bildzeitung.

Eine Szene, im Nachinein betrachtet wie im Film. Gesehen, umarmt, geküsst...eine etwas verzögerte "Beziehung auf den ersten Blick." Ich sage bewusst nicht "Liebe auf den ersten Blick", denn wenn es auch offiziell den Titel 'Liebesbeziehung' trug, ich glaube heute nicht mehr, dass es eine war...doch dazu später. Für Minuten war ich glücklich. So glücklich, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Und das Beste: Er war es auch! Zumindest sagte Viktor das, doch sein Verhalten sprach schon während des allerersten, dreitägigen Treffens andere Worte. Worte, die eigentlich hätten schreien sollen: "Kehr um! Noch ist es nicht zu spät! Du wirst Liebeskummer haben, ja, aber das ist NICHTS im Vergleich zu dem, was noch kommt!"...und ich schloss die Augen und entschied, sie zu überhören. Der Sargdeckel war geöffnet und durch den Spalt erhaschte ich die ersten Blicke auf den Vampir Viktor und war in seinen Bann geschlagen. Für die untote Ewigkeit?

Vorwort

Am Anfang einer Beziehung steht die Liebe...hoffentlich. Ich habe mich vor zehn Jahren Hals über Kopf verliebt in einen Mann, der ein wenig jünger war als ich, Maler und Lackierer gelernt hatte und alles in allem recht solide schien.

Wer ich bin? Ich bin Jane und bin eine fiktive Figur, genau wie Viktor, der Vampir. Aber wir haben weit mehr mit der Realität gemein, als viele Menschen glauben würden. Ähnlichkeiten zu realen Personen sind voll beabsichtigt, aber zu ihrem und meinem Schutz möchte ich ihre wirklichen Namen geheim halten.

Da wir uns, wie sollte es anders sein, im Internet kennen gelernt hatten und auch recht weit auseinander wohnten, führten wir im ersten Jahr mehr oder weniger eine Fernbeziehung mit sehr seltenen Treffen, die alle bei mir stattfanden. Es war schön am Anfang, oft sogar euphorisch wunderschön mit Sahnehäubchen. Doch schon am Anfang meldete sich das leise Bauchgefühl und murmelte "Irgendwas stimmt da nicht...das ist zu schön um wahr zu sein.". Und was soll ich sagen? Es war auch nicht wahr. Ich lebte in einer emotionalen Missbrauchsbeziehung.

Den Prozess, bis ich zu dieser Gewissheit kam und vor allem, wie ich aus dieser Gewissheit Konsequenzen gezogen habe, möchte ich hier aufschreiben und allen Frauen, die in der gleichen oder einer ähnlichen Situation stecken, sagen: IHR SEID NICHT VERRÜCKT! Und auch ihr könnt eines Tages Feuer machen.